25.01.2014 - Ama Dablam - Multimedia Vortrag

Von: Toni


Ama Dablam Nordwestwand

Klettern am felsigen Südwestgrat

am Südwestgrat

abseilen am Südwestgrat zwischen C2 und C1

exponiertes Camp 2 (C2) auf 6000 m

Camp 2 am Südwestgrat

KInder im Khumbu

Ama Dablam – mit Sherpas am Seil

 

Wenn von den Bergen im Himalaya die Rede ist, denkt man sogleich an Mount Everest, und all die anderen hohen Achttausender. Diese Berge sind zwar hoch, aber oft nicht besonders schön. Einer der Schönsten ist hingegen die Ama Dablam, bescheidene 6814 m hoch.

Vor 25 Jahren war Toni Spirig aus Celerina das letzte Mal zum Bergsteigen im Himalaya. Damals als Expeditionsleiter eines kleinen Teams, das am schwierigen Ostgrat des Manaslu Bergsteiger-Geschichte schreiben sollte. Davor bestieg er noch weitere Himalaya-Riesen. Das führte dazu, dass Nepal und seine hohen Berge zu einer Art zweiten Heimat für ihn geworden sind. Noch einmal dort auf Berge zu steigen, davon träumte er insgeheim. Und als ihn der Schotte Sandy Allen, ein Expeditionskollege aus früheren Zeiten, mit einer Expedition zur Ama Dablam lockte, wurde seine Begeisterung neu entfacht.

Es hat sich seither einiges verändert in Nepal. In Kathmandu dann ein erster Schock. Der Verkehr dort ist seither förmlich explodiert, Staub, Abgase und Lärm sind allgegenwärtig. Aber früher war bekanntlich alles besser.

 

Anmarsch im Schnee

Regen, Regen nichts als Regen. Der Anmarsch bis Namche ist eine eher schlammige Angelegenheit. Oberhalb des Sherpa-Dorfes sehe ich sie wieder, die Himalaya-Riesen. Abweisend und in beeindruckender Grösse bilden sie den Horizont. Es hat extrem viel geschneit in den letzten Tagen des Monsuns. Wir hören von Trekkinggruppen, die eingeschneit wurden, von Bergsteigern, die umkehren mussten, von todbringenden Lawinen und tragischen Opfern unter den Sherpas. Bergsteigen im Himalaya wird leider nur oft zur ernsten Sache.

 

Einklettern am Lobuche Peak

Sherpas sind die kleinen Männer mit den grossen Rucksäcken. Sie leben im Khumbu, einer Region am Fusse des Everest. Unsere Sherpas stammen zwar aus dem Gebiet des Makalu, vom Volk der Bhote, sind also keine richtigen Sherpas. Sie verrichten ihre Arbeit aber ebenso gut wie die Sherpas, wir nennen sie daher auch so.

Pasang, der Sherpa-Chef, oder Sirdar, wie es hier heisst, stapft voraus. Er hat den leichtesten Rucksack, dafür muss er spuren. Phurpa, sein Vater und Lhakpa tragen die grossen Rucksäcke mit den Zelten und Seilrollen. Sie trotten hinterher. Auch Ueli und ich folgen in der Spur. Wir haben bloss Kletterseile in unseren relativ leichten Rucksäcken. Pasang tut sich schwer. Zu tief der Schnee, zu ungleich die grobblockige Unterlage. Bis zu den Hüften versinkt er im pulvrigen Weiss. Nur langsam nähern wir uns dem abweisenden Felsriegel, über den wir hochklettern und den wir mit Fixseilen versichern wollen. Der Felsriegel schaut nicht gerade einladend aus. Neben kompakten senkrechten Wandfluchten ist da ein schluchtartiger Kamin, der mir trotz vereister Felsen kletterbar erscheint. Pasang aber möchte es weiter links versuchen, derweil nehme ich mir den Kamin vor. Der Fels ist nicht überall vereist, mir scheint der enge Kamin neben den Vereisungen einen Versuch wert. Schon steige ich die senkrechte Stelle hoch und hänge alsbald Griffe suchend am kalten Fels. Meine klammen Finger tasten den Fels ab auf der Suche nach Griffen, aber da ist nichts. Auf den flacheren, aber vereisten Platten links von mir, finde ich ebenso keinen Halt. Soll ich wieder abklettern und mir die Steigeisen montieren? Aber so einfach ist dies auch wieder nicht, zu hoch bin ich schon aufgestiegen. Jetzt kann mir nur meine langjährige Erfahrung weiterhelfen. Mit den Fingern schabe ich den Schnee weg und entdecke eine feine Leiste darunter. Das genügt, am feinen Griff ziehe ich mich höher und kann den grossen Griff darüber greifen. Mein Puls geht rasend schnell. Noch zwei weitere Schritte, dann gelange ich in einfacheres Gelände. Dort stecke ich sofort den Pickel in den Schnee und atme erst mal tief durch. Pasang ist bereits unter mir, in der Schlüsselstelle der abweisenden Kletterei. Er kommt nicht mehr weiter. Ein Sturz wäre fatal. Von oben könnte ich ihm helfen. Hastig packe ich das Seil aus dem Rucksack und werfe es zu ihm runter. Daran könnte er sich etwas festhalten, falls er ausrutschen sollte. Meine Pickelsicherung ist nicht über alle Zweifel erhaben, aber ich habe nichts besseres. Keine Haken, keine Keile oder Friends, bin einfach nicht ausgerüstet, um hier einen soliden Stand zu bauen. Ich rufe hinunter zu Pasang, dass ich keinen richtigen Stand habe, für eine vorsichtige Belastung des Seils sollte es dennoch reichen.

Doch er scheint das nicht begriffen zu haben. Mit vollem Gewicht  hängt er sich ans Seil und zieht sich voll daran rauf. Mit Schrecken realisiere ich die Gefahr. Sofort stemme ich mich mit ganzem Gewicht auf den Pickel  -  und der hält! Diese Situation war recht brenzlig, bloss entstanden durch ungenügende Kommunikation.

Bei mir angekommen, erklärt mir Pasang, dass er einfach zu klein gewesen sei, um den rettenden Griff zu erreichen.

Die beiden andern Sherpas hängen sich ebenso ins Seil, aber jetzt bin ich gewarnt und stemme mich weiterhin auf den Eispickel. Die Sherpas packen die Fixseile aus ihren grossen Rucksäcken und beginnen die mitgetragenen Statik-Seile an der Kletterstelle zu fixieren. Das ist wieder so ein typischer Sherpa-Job. Sie machen das gut.

Unterdessen spure ich weiter und finde so einen Weg ins Camp 1. Hier stehen schon Zelte einer anderen Expedition. Sie sind auf einer einfacheren, aber längeren  Route hierher gelangt und wundern sich darüber, dass wir die steile Wandstufe hochgeklettert sind. Der Weiterweg scheint nun einfach, mit Ueli erkunde ich noch die gespurte Flanke über uns bis zum Gletscher.

Der folgende Abstieg ins Basislager ist nun einfach. An den Fixseilen unserer Sherpas hängen wir unsere Abseilachter rein und gleiten mühelos damit hinab und sind bald wieder im Basislager. Tags darauf beziehen wir Camp 1 auf rund 5200 m, die Kletterstelle davor überwinden wir am Fixseil, in das wir einfach unsere Steigklemmen (Jümars) einklinken. Vom Hochlager ist es nicht mehr weit zum 6000 m hohen Gipfel. Wir brechen frühzeitig auf, der gesamte Aufstieg wird zur Nachtübung. Unbeabsichtigt schaffen wir es, rechtzeitig zum Sonnenaufgang, auf dem Gipfel zu stehen. Was für ein magischer Moment! Es ist immer wieder schön bei Sonnenaufgang auf einem Gipfel zu stehen. Aber dabei auf einem 6000 er zu stehen ist besonders schön. Die Aussicht ist der Hammer. Da stehen sie also, die Grossen dieser Welt. Mount Everest, Lhotse und Makalu sind die Höchsten. Doch einer ist weit schöner. Da steht auch der schönste von allen, die Ama Dablam, unser eigentliches Ziel. Mit den steilen Flanken wirkt sie wild und Respekt einflössend. Dieser Berg ist wohl eine ganz andere Nummer als der eben bestiegene Lobuche. Wow, was für ein Berg!.

 

 

Ama Dablam

Bereits einen Tag nach unserem Gipfelerfolg stehen wir dort im Basislager auf 4700 m. Uns erwartet eine Zeltstadt aus bunten, leichten Behausungen. Was für ein Rummel! Die Ama Dablam ist fest in der Hand des Kommerzes, davor wurde ich schon gewarnt, bin deshalb gar nicht geschockt. Bergsteiger aus der ganzen Welt haben sich hier versammelt, darunter auch einige Exoten. Schmunzelnd verfolgen wir das Geschehen am Berg. Die junge Chinesin, die zwar schon drei Achttausender bestiegen hat (wohl mit je einem Sherpa vorne und hinten), aber mit ihrer Mannschaft zuerst Steigeisen gehen und jümaren üben muss.

Der Berg ist einfach zu schön. Und wie beim Matterhorn in den Alpen, wollen natürlich alle auf seinem Gipfel stehen. Eigentlich ist es ein Kommen und Gehen von all den Expeditionen. Die meisten Zelte sind nämlich leer. Entweder kommen die Bergsteiger noch, oder sie sind schon wieder abgereist. All die versammelten Bergsteiger haben aber ein gemeinsames Problem. Das liegt weit oben, auf über 6000 m, am ausgesetzten „Mushroom ridge“. Dieser pilzartige Schneegrat hängt mit seinen weit ausladenden Wechten auf beide Seiten über. Bisher hat sich niemand über den pulvrigen Schneegrat hinüber gewagt. Denn die überhängenden Wechten ragen wie Pilze über den Furcht einflössenden Abgrund hinaus.

Die Sherpas haben nach den grossen Schneefällen einfach nicht gewagt weiter zu steigen.

Zu gefährlich, dort oben, in dem losen Schnee hinüber zu balancieren. Es sei einfach unmöglich, irgendwelche soliden Verankerungen in den pulverigen Schneetürmen anzubringen. Das Problem besteht schon seit mehr als drei Wochen. Zahlreiche Expeditionen haben es bisher nicht zu lösen vermocht, sind daran gescheitert.

Ich will mir selber mal ein Bild von der Situation da oben machen. Nach einer Nacht im Camp 1 auf 5800 m klettere ich mit Stephan und den Sherpas an den Fixseilen zum Camp 2 auf 6000 m hoch. Schöne Genusskletterei erwartet uns dort oben am luftigen Grat. Der Fels ist fest und die installierten Fixseile erlauben uns ein zügiges Klettern. Kurz unterhalb Camp 2 ist der berühmte gelbe Turm, die Schlüsselstelle. Die Kletterei ist schwierig, ist wegen der dünnen Luft und der Steilheit nicht zu unterschätzen. Pasang steigt vor. Mit einer Hand in der Steigklemme geht das normalerweise recht einfach. Trotzdem bemerke ich, wie er sich mit dem schweren Rucksack, im senkrechten Fels schwer tut.

Mit Lhakpa vereinbare ich deshalb, seinen schweren Rucksack am Seil hochzuziehen. Binde mir dazu ein Seilende an den Klettergurt und klettere hoch. Oben am Stand angekommen, ziehe ich zusammen mit Pasang, den schweren Sack hoch, ein Job für echte Strapazis.

Was für eine exponierte Lage für ein Hochlager! Der Berg zeigt hier seine Wildheit, seine Ausgesetztheit. Ich bin fasziniert. Mit der Kamera versuche ich der Situation vom Camp 2 gerecht zu werden.

 

Unsere Sherpas wollen wieder runter ins Basislager, um dort mit ihren Kollegen das weitere Vorgehen am Berg zu besprechen. Nach unserem Ausflug ins Camp 2 steigen auch wir nochmals ins Basislager ab, um neue Kräfte zu sammeln für den bevorstehenden Gipfeltag.

Der neue Plan der Sherpas tönt vernünftig. Die besten Sherpas aller anwesenden Expeditionen wollen sich zusammentun, um gemeinsam oben am Berg die Fixseile einzurichten.

Maurizio der Helipilot der Helibernina/Fishtail Air ist gerade für Filmaufnahmen im Basislager gelandet. In einer spontanen Aktion nimmt er Fixiermaterial und Seile im Heli mit hinauf und lässt es oben auf 6400 m abwerfen. Unglaublich, was Maurizio hier im Himalaya mit seinen Flugkünsten alles schon ermöglicht hat. Seine Rettungen mit dem Heli im Himalaya sind wegweisend.

Auch wenn jetzt genügend Seile oben am Berg liegen, zwischendrin liegt nach wie vor der „Mushroom ridge“, das eigentliche Hindernis.

Die Sherpas wollen nur noch die starken Winde der Wetterprognose abwarten. Dann nach zwei Tagen wollen sie wieder rauf an die Arbeit. Wieder zwei Tage weniger! Uns läuft langsam die Zeit davon. Selbst, wenn die Sherpas es schaffen sollten, würde es knapp für uns werden. Aber uns bleibt keine andere Wahl.

Hin und wieder ertappe ich mich, wie ich mit verwegenen Gedanken spiele. So könnte ich doch mit einem starken Seilpartner versuchen, im Alpinstil da hoch zuklettern. Das wäre sehr gewagt und die Chance auf den Gipfelerfolg für ein Zweierteam sehr klein. Denn dort oben, mit schweren Rucksäcken, Zelt, Biwakausrüstung den delikaten, verwechteten Grat zu überklettern, hätte wohl sicher viel Kraft verbraucht. Nach so einem Effort wäre der Gipfel für uns kaum noch zu schaffen gewesen. Da in unserem Team viele gesundheitlich angeschlagen sind, schiele ich auch auf die anderen Teams. Aber die sind auch ziemlich verplant. Falls es mir gar gelungen wäre, über den „Mushroom ridge“ zu klettern, hätten die anwesenden Top-Sherpas wohl um ihren guten Ruf bangen müssen. Andererseits hätte ich in einer Notsituation nicht mehr auf ihre rettende Unterstützung hoffen dürfen.

So hoffe auch ich auf ein Wunder. Hoffe darauf, dass die vereinigten Sherpas zusammen den Weg irgendwie öffnen würden. Das Spiel heisst jetzt: Du hast keine Chance, aber nutze sie.

Einen Tag später als die Sherpas, brechen auch wir auf ins Camp 1. Es ist immer noch stark windig, wie an den beiden Tagen davor. Im Aufstieg bemerke ich eine 2er-Seilschaft am grauen Turm oberhalb Camp 2. Wieso sind die Sherpas so spät dran? Die sind ja kaum eine Stunde oberhalb Camp 2 an den Fixseilen unterwegs. Das wirft Fragen auf und gibt zu denken. Bei einbrechender Nacht verfolgen wir vom Camp 1 den Abstieg der Sherpas zum Camp 2. Am frühen Morgen kommt Lhakpa mit der Hiobs-Botschaft. Die Sherpas haben definitiv umgedreht, nachdem einer von ihnen am „Mushroom ridge“ rund 10m ins Seil gestürzt ist. Das ist das Aus für unseren Gipfeltraum. Schade, denn bei mir hat diesmal alles gestimmt. Bin nie krank gewesen, bin gut höhenakklimatisiert und wirklich bereit für den Berg. Aber eben, der Berg ist nicht bereit für uns.

Noch einmal möchte ich aber hochsteigen zum Camp 2, möchte auf meine Weise Abschied nehmen von diesem schönen Berg, möchte nochmals den rauen Fels spüren, die schöne Kletterei geniessen. Als Einziger aus unserem Team klettere ich deshalb nochmals ins Camp 2 hinauf. Beobachte dabei die Arbeit der Sherpas. Erkenne ein wenig das Dilemma, in dem sie stecken. Sehe zu, wie sie für ihre Gäste hart arbeiten müssen. Wie sie mit dem Seil eine unfähige Kletterin aus Dänemark den gelben Turm hochziehen. Wie sie die top ausgerüstete Chinesin den Berg hinunterlotsen. Wie sie von den „clients“ zu allerlei Hilfestellungen absorbiert werden. Und ich frage mich ernsthaft, hatten die Sherpas überhaupt genug Kapazität, Zeit und Lust am Berg, die Fixseile für uns einzurichten? Fixseile, die ohne solide Verankerung auch eine grosse Gefahr für die vielen ungeübten Bergsteiger gewesen wären. Und falls da was passiert wäre, sich ganze Seilschaften verabschiedet hätten, die Sherpas wären wohl arg in der Verantwortung gestanden.

Mein Traum von der Ama Dablam ist leider nicht wahr geworden. Aber wie heisst  es so schön in einem tibetisches Sprichwort: Unterschätze nie die Kraft deiner Träume!